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Einleitend Fotogeschichte Filmgeschichte |
Was Imagepflege betrifft, gilt das Retzer Land derzeit als Vorzeigeregion im Weinviertel: Gold und Bronze für Werbebroschüren, dynamisierendes Rot für abgetakelte Fahrräder, Grün für das "LEADER+"-Weinregionenkonzept und die Amtskette für eine ungewöhnliche Frau. Die Zweitwohnsitzer, Julia-Fans und Radtouristen werden angezogen von einer mit Sorgfalt gepflegten historischen Stadtkulisse und einem kultivierten ländlichen Umfeld. Beides soll das angemessene Ambiente für eine kurzweilige Urlaubsidylle bereitstellen. Die Bilder sind für ein Publikum entworfen, das "seinen Alltag draussen läßt" und hier den privaten Freizeitbelangen nachgeht.
Doch eine Kleinstadt kann mehr. Vor allem was die Aufbereitung ihrer historischen Substanz betrifft. Ergänzend zu den Corporate-Identity-Konzepten im Dienste der Tourismuswerbung könnte hier eine Kompetenz für die Bebilderung historischen und aktuellen Kleinstadtlebens entwickelt werden.
Zum einen wird es wichtig werden (auch angesichts von Abwanderungszahlen) für Personen, die ihren Lebens- und Arbeitsmittelpunkt in Retz haben, alternative Identifikationsmöglichkeiten mit der Stadt aufzuzeigen. Brüchigere Identitätskonzepte richten sich zum anderen an ein Publikum, das einem allzu glatten Erlebnistourismus mit Skepsis begegnet (vor allem wenn hie und da das Service dem Image nachhinkt).
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Im Retzer Stadtarchiv findet man neben zahlreichen Stadtfotografien auch Bilder historischer Zusammenkünfte, Veranstaltungen und Aufmärsche. Diese dokumentieren die Abläufe und die personelle Zusammensetzung des öffentlichen Lebens einer Kleinstadt. |
Bestimmte Typen diplomatischer Rituale und symbolischer Aufgebote hat nur das Bildmedium bewahrt.
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Darüberhinaus existiert gemäß der kunsthistorischen Tradition des bürgerlichen Gruppenportraits in diesen Bildern eine interessante Überlagerung des privaten Erinnerungsbildes von Verwandten und Bekannten und der offiziellen Verewigung historischer Begebenheiten. |
Viele der "öffentlichen Persönlichkeiten" werden für BewohnerInnen von Retz ein familiäres Gesicht haben. Man denke nur an Fotos zur Sportplatzeröffnung 1955 oder die Geburtstagsfeiern der Herren Bürgermeister.
Dies ist unter anderem in der Spezifik kleinstädtischen Gesellschaftslebens begründet, in dem der politische Akteur kein entrückter Medienstar ist, sondern zumeist der gleichen Lebens- und Arbeitsrealität wie die meisten anderen Gemeindemitglieder angehört. Durch diese "Nähe zum Geschehen" könnten die politischen Abläufe anhand der Bilder biographisch fokussiert werden.
Mit einer solchen historischen Bestimmung, die der Frage nachgeht, welche Räume als öffentlich empfunden wurden und wo bzw. wie Öffentlichkeit "praktiziert" wurde, knüpft man an wichtige Fragestellungen der aktuellen Stadtgeschichtsforschung an.
Überdies bietet sich durch das Stadtkino und den ansässigen Filmclub die Möglichkeit an, zu hinterfragen, wie politisches Handeln im TV-Serien-Erfolg "Julia" dargestellt wird. Mit dem längstdienenden niederösterreichischen Kino und einer engagierten Programmkino-Initiative hat Retz das Potential, die prüfende Betrachtung der Kombination aus idyllischem Ambiente und verwinkelten Intrigen, mit der "die Kleinstadt" im Film identifziert wird, nicht anderen zu überlassen, sondern hier vor Ort vorzunehmen.
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Das Phänomen "Julia" bietet Ansatzpunkte für einen Blick in die Österreichische Filmgeschichte: Der Heimatfilm erfährt seit einiger Zeit eine kritsche Aufarbeitung, die gezeigt hat, wie in so legendären Produktionen wie "Hofrat Gei-ger" und "Mariandl" Gesellschaftsbilder zwischen Liebesleid und Bürgergerechtigkeit mit der Absicht der touristischen Erschließung einzelner Regionen verknüpft wurden. |